glutenfreier Ernährung Beratung Wien

Deutliche Zunahme von glutenfreier Ernährung: Modeerscheinung oder tatsächlich oft gesünder?

(Medscape. 02. Jun 2016)

Die Frage, ob eine glutenfreie Ernährung sinnvoll ist, ist besonders angesichts ihrer beeindruckenden Zunahme an Popularität in den letzten 10 Jahren aktuell. In der Tat ist die Vermeidung von Gluten zum beliebtesten Ernährungstrend in den Vereinigten Staaten geworden – etwa 100 Millionen US-Amerikaner verzehrten im vergangenen Jahr glutenfreie Produkte (William F. Balistreri, MD).

Derzeit gibt es mindestens 3 klinische Syndrome, die mit dem Verzehr von Gluten zusammenhängen: Zöliakie, eine Autoimmunerkrankung; Weizenallergie, eine durch Immunglobulin E (IgE) ausgelöste Erscheinung; und Glutenunverträglichkeit, bei der Zöliakie und Weizenallergie bereits ausgeschlossen worden sind.

Die Entscheidung, glutenfrei zu leben, ist entweder obligatorisch oder freiwillig. Eine glutenfreie Ernährung ist bei zuverlässig diagnostizierter Zöliakie obligatorisch – und möglicherweise auch bei einer Weizenallergie. Viele Menschen entscheiden sich jedoch für eine glutenfreie Ernährung, da sie eine Empfindlichkeit bei sich selbst vermuten. Während vermutlich 1% der Bevölkerung tatsächlich mit einer Zöliakie lebt, glauben schätzungsweise mehr als 60% der US-Amerikaner, dass eine glutenfreie Ernährung ihre körperliche und/oder psychische Gesundheit verbessere. Es ist ihre Wahl, eine glutenfreie Ernährung in der Hoffnung zu sich zu nehmen, die Verdauung zu verbessern und ihr Immunsystem zu stärken, sowie ihre Leistung zu verbessern und an Gewicht zu verlieren.

Dieser Glaube wurde durch die Aussagen von Prominenten und Leistungssportlern gefördert, die ihren Erfolg und ihr Wohlbefinden ihrer glutenfreien Ernährung zuschreiben. Eine Umfrage von Lis und Kollegen unter 910 Weltklasse-Athleten und Olympia-Medaillengewinnern hat ergeben, dass 41% einer glutenfreien Ernährung folgten – die Mehrheit aufgrund einer Selbstdiagnose von „Empfindlichkeit gegenüber Gluten“ und wahrgenommenem leistungssteigernden oder gesundheitlichen Nutzen.
Die Attraktivität einer glutenfreien Ernährung ist sehr lukrativ geworden, was zu einer erhöhten Verfügbarkeit glutenfreier Produkte und einer größeren Vielfalt von Ernährungsoptionen führt. Der Markt für glutenfreie Lebensmittel ist weiterhin auf Expansionskurs und wird auf 4 Milliarden US-Dollar Einzelhandelsumsätze im vergangenen Jahr geschätzt. Allerdings gibt es Hindernisse für ein glutenfreies Leben, einschließlich der Kosten und langfristigen Sicherheit glutenfreier Lebensmittel und eventueller Kreuzkontamination durch Gluten in Produkten. Darüber hinaus könnte eine glutenfreie Ernährung mit sozialen Einschränkungen verbunden sein, die möglicherweise die Einhaltung erschweren.

Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität (NCGS)

Non-celiac gluten sensitivity (Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität) ist der frisch gebackene Begriff, der eine klinische Erkrankung beschreibt, die mit der Zunahme von Gluten oder glutenhaltigem Getreide verbunden ist; eine genauere Bezeichnung für diesen Zustand sei einfach „Menschen, die Gluten meiden“.
Klinisches Spektrum
NCGS wird weitgehend durch eine Reihe selbst berichteter gastrointestinaler Symptome gekennzeichnet: zum Beispiel Bauchschmerzen, gastroösophagealen Reflux, Gasentwicklungen/Blähungen, Übelkeit, Durchfall und/oder Verstopfung. Allerdings wird auch eine Vielzahl nicht gastrointestinaler Symptome berichtet wie Kopfschmerzen, Müdigkeit, „benebelter Geist“, Angstzustände, Depressionen, Muskelschmerzen und Hautausschläge. Ein ähnliches Spektrum von Symptomen wurde bei Kindern beobachtet.
NCGS: ein klinisches Bild, das durch die Aufnahme von Gluten hervorgerufen wird und zu intestinalen und/oder extraintestinalen Symptomen führt, die verschwinden, sobald Gluten gemieden wird. Diese Definition erfordert, dass Zöliakie und Weizenallergie ausgeschlossen wurden.
Häufigkeit
Aziz und Kollegen führten eine Umfrage durch, um die Prävalenz selbst diagnostizierter NCGS in der allgemeinen Bevölkerung und die Verbreitung einer glutenfreien Diät außerhalb der Zöliakie abzuschätzen. Sie stellten fest, dass 13% der Bevölkerung (79% Frauen, Durchschnittsalter 39,5 Jahre) selbst von Glutenunverträglichkeit berichteten, von denen nur 0,8% eine gültige Diagnose einer Zöliakie hatten.
Biesiekierski und Kollegen untersuchten auch eine Reihe Erwachsener, die glaubten, an NCGS zu leiden. Sie erfuhren, dass unter den Befragten die glutenfreie Ernährung am häufigsten selbst initiiert war (44%) und weniger häufig von alternativen Heilpraktikern (21%), Ernährungsberatern (19%) oder Allgemeinmedizinern (16%) verschrieben wurde. Der Beginn der glutenfreien Diät fand häufig ohne ausreichenden Ausschluss von Zöliakie statt; bei 15% der Befragten wurden keine Untersuchungen durchgeführt, um Zöliakie auszuschließen. Bei 25% sind die Symptome schlecht kontrolliert

Beziehung zum Reizdarmsyndrom
Personen mit Glutenunverträglichkeit unterliegen einer erhöhten Wahrscheinlichkeit, die Rom-III-Kriterien für RDS zu erfüllen. Es ist nicht ungewöhnlich für RDS-Patienten über eine Verbesserung der klinischen Symptome zu berichten, wenn die Glutenaufnahme begrenzt wird.
Eine Reihe von Studien hat die Immunantwort auf Gluten bei Patienten mit RDS untersucht, für die Zöliakie ausgeschlossen wurde. Wahnschaffe und Kollegen haben eine Verbesserung der von Patienten berichteten Ergebnisse in Folge einer glutenfreien Diät festgestellt, wie eine Abnahme der Stuhlgangshäufigkeit bei RDS-Patienten mit Durchfall, bei denen Zöliakie ausgeschlossen worden war.

Gluten: Schuldig im Sinne der Anklage?
Während diese Studien die Rolle des Glutens bei der Entstehung einer Vielzahl von Beschwerden überzeugend zu untermauern scheinen, haben neuere Studien nahegelegt, dass die Geschichte vielschichtiger ist, und melden Zweifel an, ob NCGS eine abgegrenzte klinische Einheit ist.
Mehrere Autoren haben nahegelegt, dass die Verbesserungen in der Symptomatik auf einen Placebo-Effekt zurückzuführen seien oder auf die Tatsache, dass andere Komponenten des Weizens als Gluten – wie Ballaststoffe und der Weizen selbst – aus der Ernährung bei Einhaltung einer glutenfreien Diät entfallen.

FODMAPs
Mehrere Forscher machten unter anderem schlecht resorbierbare Kohlenhydraten für die Entstehung der klinischen Symptome verantwortlich. Die Aufnahme fermentierbarer Oligosaccharide, Disaccharide, Monosaccharide, und Polyole (FODMAPs) können gastrointestinale Beschwerden auslösen. Diese Kohlenhydrate werden schlecht im Dünndarm resorbiert und gehen somit ins Kolon über, wo sie osmotisch das Wasser innerhalb des Lumens erhöhen, kurzkettige Fettsäuren produzieren und die Gasproduktion anregen, die bei der Fermentation durch die Dickdarmbakterien entsteht. Dies führt zu luminaler Distension, Gasentwicklung und Blähungen. FODMAPs können auch die Mikroflora, die Immunfunktion und die Schutzbarriere des Darms beeinflussen, was auch gastrointestinale Symptome erzeugen könnte. Eine Reduktion der FODMAPs in der Ernährung ist bei der Behandlung von Patienten mit RDS als wirksam berichtet worden.

Biesiekierski und Kollegen berichteten Ergebnisse aus einer doppelblinden Crossover-Studie bei Patienten mit selbst diagnostizierter NCGS: Hierbei kam es bei denjenigen, die sich mit einer glutenfreien Ernährung gut fühlten, zu einer Verbesserung des Zustandes unter einer FODMAPs-Eliminations-Diät. Bei allen Teilnehmern verbesserten sich die gastrointestinalen Symptome konsistent und signifikant während der Phase der reduzierten Aufnahme von FODMAPs. Die Wiedereinführung von Gluten in der sonst wenig FODMAPs enthaltenden Ernährung führte nicht zu einem spezifischen oder dosisabhängigen Rückfall. Glutenspezifische Wirkungen wurden bei nur 8% der Teilnehmer beobachtet.

Weizenunverträglichkeit außerhalb der Zöliakie
Bis heute ist nicht bekannt, welche Komponente des Weizens die Symptome tatsächlich verursacht. Studien haben spezifisch Weizenunverträglichkeit (Weizenallergie, nicht IgE-vermittelt) als Ursache der Symptome bei Patienten mit selbst berichteter Glutenunverträglichkeit herausgearbeitet.
Non-celiac wheat sensitivity (NCWS, Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität) wird als Bezeichnung für eine klinische Einheit verwendet, die viele Ähnlichkeiten mit Zöliakie und NCGS besitzt, und deren klinische Symptome den Gastrointestinaltrakt, das Nervensystem, die Haut und andere Organe betreffen können. Ein anderes gemeinsames Merkmal ist die Beobachtung, dass die Symptome der NCWS nach Ausschluss von Weizen aus der Ernährung verschwinden und nach Weizenaufnahme hin wieder erscheinen. Weizen enthält sowohl Gluten als auch schlecht resorbierbare Kohlenhydrate, die fermentieren (ebenso wie andere FODMAP-Komponenten) und das Mikrobiom verändern können, was eine immunologische Beteiligung an NCWS ausschließt.

Ein neuer Ansatz
Zwischen Zöliakie, NCGS und anderen durch Weizen bedingten Erkrankungen zu unterscheiden kann eine Herausforderung darstellen, aber es ist wichtig für die entsprechende Behandlung. Es ist kontraproduktiv zu diskutieren, ob NCGS „real“ ist; die Patienten sind real und suchen ärztliche Hilfe.
Der aktuelle klinische Ansatz setzt sich daraus zusammen, Zöliakie und Weizenallergie auszuschließen, auf weitere Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder gastrointestinale Erkrankungen zu testen und über den Nutzen/die unbeabsichtigten Folgen der Glutenvermeidung und diese sich entwickelnden Krankheitsbilder die neuesten Daten zu vermitteln. Es ist auch wichtig, Patienten und ihre Familien darüber zu informieren, was nicht bekannt ist. Es kann auch wirksam sein, die empfohlene diätetische Strategie zu personalisieren, indem bestimmte Komponenten der Klasse FODMAP, Weizenprodukte und/oder Gluten sequentiell gemieden werden.

Bei allen Beschwerden, die ursächlich mit dem Magen-Darmbereich in Zusammenhang gebracht werden, sollte zum Ausschluss einer Grunderkrankung eine individuell angepasste gastroenterologische Durchuntersuchung erfolgen: komplette Blut -und Stuhluntersuchungen, Atemteste und Lebensmittelallergieaustestung, Bildgebung sowie Endoskopie (Gastroskopie und Koloskopie). Die individuelle Diagnostik und Therapie erfolgt nach Patientenwunsch und medizinischer Notwendigkeit
Dr. Martin Scharf

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